Hat Ihr Kind auch gerade Corona? Ch knn ncht mhr

Von Jens Radü
08.07.2022, 01.36 Uhr

Die Pandemie würgt das Land, auch meinen elfjährigen Sohn hat es erwischt. Doch statt sich auf den Herbst vorzubereiten, geht Berlin in die Sommerpause. Und Eltern bleibt: Zähne zusammenbeißen. Gnz fst. Krankes Kind (Symbolbild): Homeschooling, puh, so was von 2021
Foto: Hodei Unzueta / IMAGO

Und dann, am 946. Tag der Pandemie, schreibt Frederik mir eine Nachricht: "Papa, ich habe gerade Fieber gemessen, weil ich mich nicht so gut fühle und ich habe 37,5."

Spoiler: Es bleibt nicht dabei. Halsschmerzen, Husten, das Fieber steigt, er schläft 17 Stunden am Stück - und schließlich zwei Striche. Corona, finally. Auch der PCR-Test ist positiv. Der elfjährige Frederik ist damit der erste Infizierte in unserer Familie, trotz Impfung. Und es fühlt sich in etwa so an wie nachts um halb drei noch auf einer - enervierend öden - Party aufzulaufen, die eigentlich als Brunch geplant war: Das Buffet ist längst leer geräumt (kostenlose Schnelltests? Pfff), keiner weiß, was überhaupt gefeiert wird, der Gastgeber (Karl Lauterbach) ist eingeschlafen und das Bier ist auch aus.

Entschuldigen Sie das schiefe Bild, das macht der latente Murmeltiertag-Frust: Isolation, Homeschooling und täglicher Familienausflug zur örtlichen Teststation. Der Mitarbeiter verteilt großzügig Gummibärchen, und schon am dritten Tag gelten wir als Stammgäste ("Na, wie war der Kaiserschmarrn gestern?"). Trotzdem: Alle bleiben negativ, obwohl nicht nur ich mir Symptome einbilde: doch nur Männerschnupfen? Ich verstehe dieses Virus nicht, es scheint in seiner Launenhaftigkeit mindestens so flatterhaft wie eine hoffnungslos verwöhnte Siamkatze. Streichel mich. Fauch. Fass mich ja nicht an. Jetzt wieder streicheln, fauch. Miau.

"Ich hab so was von kein' Bock mehr auf die Scheiße!"

Jens Radü, Jahrgang 1979, hat drei Kinder und fragt sich in weisen Momenten, wer hier wen erzieht - und wenn ja, warum eigentlich nicht?

Es ist Juli im Jahr drei der Pandemie, und draußen rollt die Sommerwelle: kaum noch Masken, 9-Euro-Gedränge in Zügen und auf Bahnsteigen, Festivals, Grillpartys, süßer Vogel Freiheit - und das RKI meldet eine Sieben-Tage-Inzidenz von 690,6. Zur Erinnerung: Im Vormonat lagen wir bei 199. Und die tatsächlichen Zahlen dürften weit höher liegen: In der Statistik zählen schließlich nur positive PCR-Tests (s.o.). Müssen Sie auch lachen?

Um uns herum jede Menge Erkrankte: die Nachbarn - positiv, erst er, dann sie. In der Kita - vier Infektionen bei den Marienkäfern, am Tag drauf macht die ganze Gruppe dicht. Und in der Redaktion wird die Präsenzpflicht wieder aufgehoben. Als ich diese Woche mit der Kollegin F. telefonierte (aus dem Homeoffice), entfuhr ihr der ebenso treffende wie prosaische Einzeiler: "Ich hab so was von kein' Bock mehr auf die Scheiße!"

Ihnen geht es ähnlich? Kein Wunder: Corona legt gerade massenhaft Betriebe lahm: Berlin fehlen Crews für die Krankenwagen. Die Notaufnahmen sind unterbesetzt, viele müssen sich abmelden. Und die Koffer an den Flughäfen stapeln sich auch, weil viele Gepäckarbeiter und Servicekräfte krank sind. Es ist absurd: Die Pandemie würgt das Land, gleichzeitig fallen die letzten Schutzmaßnahmen, in Bayern müssen im öffentlichen Nahverkehr inzwischen keine FFP2-Masken mehr getragen werden. Wer sich jetzt noch immer nicht infiziert hat, ist Soziopath.

"But you can never leave"

Und Frederik? Geriert sich in etwa so wie Hans Castorp in Manns "Zauberberg": vormittags Lektüre auf der Sonnenterrasse. Gegen zwölf ein leichtes Mittagessen. Gelegentliche Spaziergänge über den Flur. Philosophische Gespräche mit Settembrini (okay, es ging um Fußball und sein Sparringspartner war sein kleiner Bruder). Wenigstens die Symptome sind mild. In seiner Klasse sind zehn weitere Kinder positiv, am Montag wurde der Unterricht ausgesetzt, Homeschooling, puh, so was von 2021. Und wir stecken mit ihm in der Isolationsfalle: Ich mache wieder Videocalls mit der vierjährigen Elisa auf dem Schoß, wie neulich Anton Hofreiter bei der Ausschusssitzung. Leichte Büroaufgaben erledigt sie inzwischen ebenso selbstständig wie routiniert. Und mein Arbeitstag gliedert sich in 45-Minuten-Slots - so lange dauert eine Hörspielfolge "Benjamin Blümchen". Töröö.

Es ist wie in diesem alten Song der "Eagles": "You can check out any time you want. But you can never leave". Wenn wenigstens die Aussichten auf den Herbst etwas rosiger wären. Aber bisher gibt es weder ein schlüssiges Konzept für neue Schutzmaßnahmen noch die Impfung für unter Fünfjährige.

Wenn dann spätestens im Oktober die neue Kollektion an Virusvarianten vorgestellt wird, ahne ich die Pointe: Schulen und Kitas? Müssen - leider leider, liebe Eltern - schließen. Aber schauen Sie: Ist ja auch besser, um wertvolle Heizenergie zu sparen. Wegen Putin. Dem Gas. Und überhaupt: Reißen Sie sich doch mal ein bisschen zusammen. Und beißen Sie die Zähne zusammen.


Quelle: spiegel.de